Eine nicht ganz alltägliche Verbindung

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Erstes Kennenlernen

„Guten Tag. Treten Sie ein und nehmen Sie Platz bitte. Möchten Sie Kaffee oder Tee?“- diese erste Begegnung mit Jacques A. M’Bata im Zimmer B610 des Ausländerwohnheims der TU Dresden im Jahr 1975 bleibt für mich unvergessen. Jacques war einer von insgesamt nur vier jungen Togoern, die in der DDR studierten – neben Yves (in Leipzig), Déo (an der Verkehrshochschule in Dresden) und Lawson (in Merseburg). Normalerweise hätten alle vier in Frankreich studiert – sie zählten zu den besten Abiturienten ihres Jahrganges in Togo. Für sie finanzierte der kleine Staat in Westafrika nahe des Äquators gelegen, ein Auslandsstudium. Meist in Frankreich, das liegt nahe, die Sprache, das Schulsystem, die Geschichte… Doch 1974 gab es einen Anschlag auf den Präsidenten von Togo, den er überlebte, aber man mutmaßte, dass auch Franzosen ihre Finger im Spiel hätten. Das Klima kühlte ab – und man erinnerte sich, dass Togo von 1884 bis zum Ende des ersten Weltkrieges eine deutsche „Musterkolonie“ war. Und die DDR nahm die jungen Afrikaner sehr gerne auf.

Studenten in Dresden

Jacques A. M’Bata im Labor 1977

Jacques A. M’Bata hatte am Leipziger Herder-Institut Deutsch gelernt und begann 1975 ein Chemie-Studium an der Technischen Universität Dresden – Lebensmittelchemie. Ich wurde von der Sektionsleitung als Betreuerstudent ausgewählt. Jacques und ich wohnten gemeinsam vier Jahre lang in einem kleinen und schmalem Studentenzimmer Nr. B610 mit Doppelstockbett. Und wir kamen beide aus ganz unterschiedlichen Welten:   Dass die erste Vorlesung pünktlich 7:30 Uhr begann, war für Jacques gewöhnungsbedürftig.

Wolfgang Bieger als Student 1982

Für mich, dass uns nicht selten 21.30 Uhr die anderen Westafrika-Studenten besuchten – die Malinesen, Djibril aus dem Senegal… Dann wurde in der, mitunter nicht ganz keimfreien, Etagen-Küche gekocht, Reis mit Fleisch und Gemüse. Übrigens ausgesprochen lecker und um Mitternacht gab es das Festmahl: eine Schüssel in der Mitte mit allen Köstlichkeiten und alle aßen daraus mit den Fingern – nur ich bekam einen Teller, eine Gabel…

Jacques hat sein Studium mit Bravour gemeistert und 1979 hat er sich mit seiner Erika, die er bei der Katholischen Studentengemeinde kennengelernt hatte, eine eigene Wohnung gesucht.

Abschied von der DDR

Abschied 1980

Kurz vor Weihnachten 1980 hieß es Abschied nehmen. Gemeinsam mit Jürgen Brückner, mit den Fiebigers und anderen Freunden standen wir an jenem kleinen Türchen am S-Bahnhof Berlin-Friedrichstraße, das die Welten trennte. Jacques, Erika mit Klein-Lakmaté im Kinderwagen gingen hindurch, wir anderen blieben zurück. Ein Abschied für immer? Nein – wir hielten Kontakt, schrieben zwei, drei Briefe im Jahr via Luftpost und auch Telefonieren war möglich, wenn auch nur vom Postamt aus und mit 50 DDR-Mark für ein 10-Minuten-Gespräch mit Knacken und Piepsen nicht gerade preiswert.

Neustart in Togo

Der berufliche Start in Togo war nicht leicht. Damals wusste man noch nicht, dass ein DDR-Diplom einem West-Diplom in keiner Weise nachstand. Nach zwei  Jahren bei „Soprolait“, einer dänischen Milchfirma, die jedoch ihre Zelte in Togo 1983 abbrach, der Durchbruch im Wasserwerk: Im Rahmen eines von der Weltbank finanzierten Projektes zur Erweiterung des Wassersystems in der Hauptstadt, aber auch im Inneren des Landes, suchte man händeringend nach einem guten Chemiker. Der sollte das brandneue Labor in Lomé leiten, alle Wasseraufbereitungsanlagen im Land überwachen und auch noch die Mitarbeiter ausbilden. Die entsprechenden Analysengeräte aus Europa verstaubten schon seit geraumer Zeit in einer Ecke des Labors. Keiner wusste etwas damit anzufangen. Jacques kam, packte die Kisten aus und erklärte, wozu das alles nütze ist. 

Er wurde Laborleiter, vier Jahre später Produktionsleiter einer neuen Wasserstation für die Hauptstadt Lomé, dann Technischer Direktor aller Wasserwerke von Togo. Im Jahre 2008 ernannte man ihn zum Generaldirektor für Wasser und Abwasser im Ministerium und 2012 zum Generaldirektor der Gesellschaft Société de Patrimoine, Eau et Assainissement en Milieu Urbain et Semi-Urbain (SP-EAU, etwa: Gesellschaft für Kulturerbe, Wasser und Siedlungshygiene in städtischen- und halbstädtischen Gebieten).

Ein Wiedersehen nach langer Zeit

 „Alafia“ – zurückhaltend drückte Jacques‘ Mutter meine beiden Hände und begrüßt mich in der Stammessprache Lamba. Eine warmherzige, schlanke, zierliche Frau. Vier Kinder hat sie geboren – Jacques ist ihr Ältester. Jacques Vater, schon 1970 verstorben, hatte gleichzeitig noch drei weitere Frauen. Nichts Ungewöhnliches in Westafrika. Alle Geschwister und die fünf Halbgeschwister lernte ich bei meiner ersten Reise nach Togo im Jahr 1994 noch nicht kennen – das sollte ich Jahre später, zur Silberhochzeit 2005, nachholen. Meine Eindrücke überschlugen sich auch so: das schwül-heiße Klima, die staubigen Gassen, hektische Geschäftigkeit an den Straßen, freundliche Menschen und viele, viele aufgeschlossene lachende Kinder in zerschlissenen Kleidchen und Höschen…

Brunnen für Togo

Drei Jahre später – Jacques ist mittlerweile Technischer Direktor: In einem Biergärtchen verhandeln wir auf Holzschemeln über Pumpen, die aus zig Metern Tiefe Wasser an die Oberfläche fördern. Unser Gesprächspartner, ein Heidelberger, der gleich nach dem Studium nach Burkina Faso ging und mit seiner hübschen Freundin im Toyota-Transporter nach Lomé gekommen ist. Mitten im Gespräch rammt ein Einheimischer den Toyota ziemlich heftig. Man einigt sich auf ein Bier, für den Schreck sozusagen – dann gehen alle wieder ihrer Wege. Eine Schramme mehr oder weniger…

Jacques hat in seiner Amtszeit viele Brunnen-Systeme im ganzen Land installiert, dicke Wasserleitungen aus Staudämmen in die Städte verlegt, Verhandlungen zur Finanzierung mit der Weltbank geführt. Wasser gibt es nach wie vor nicht überall, aber mittlerweile in vielen Dörfern wenigstens eine zentrale Wasserstelle.

Die nächste Generation

Jacques wäre nicht Jacques, würde er nicht vieles von dem, „was mir Gott geschenkt hat“, wie er sagt, zurück geben. Und so lebten und leben in seinen Häusern in Lomé und in Animadé, seinem Geburtsort im Norden des Landes, mal sechs, mal acht, mal zehn Jungs und Mädchen, denen er den Weg zum Abitur ebnet, Schulgeld bezahlt, freie Unterkunft bietet und auch mal den einen oder anderen Tipp in Mathe, Chemie, Physik gibt.

Lernbereich in Togo

Seine Frau Erika, mit der er drei Söhne hat, kümmert sich um die Schulen in Animadé und umliegenden Dörfern – und erhält dabei finanzielle und logistische Unterstützung von der Jürgen-Wahn-Stiftung in Soest. Jürgen Brückner, der Freund aus Dresdener Tagen, hatte gleich nach der Wende den Kontakt nach Soest geknüpft. Das erste Projekt der Stiftung war die Krankenstation in Animadé – heute ein Vorzeigeobjekt im Land.

Wir bleiben in Kontakt

Christina Fechner und Jacques A. M’Bata auf dem Schulweg 2017

Fast 45 Jahre sind vergangen, seit ich Jacques zum ersten Mal traf – eine Begegnung, die uns beide prägte. Die eigentlich für Ostern 2020 geplante Reise nach Togo holen wir nach – meine Lebenspartnerin Christina, ihre Tochter Lina mit Freund Matheus und noch fünf Studienfreunde aus jener gemeinsamen Zeit in den 1970er Jahren: Urte und Gerd, Gabi und Reinhard, Petra. Für Christina wird es die vierte Reise nach Westafrika, für Petra die zweite, für die anderen Afrika-Premiere… Den saftigen Schinken, den Reinhard schon besorgt hat, müssen wir erst mal selber essen. Christina und ich haben gedruckte Togo-Karten für die Schulen im Gepäck – 2017 waren sie ein echter Hingucker, und die mitgebrachten Fußbälle blieben keine fünf Minuten im Netz…

Spontanes Studientreffen in Dresden 2018

Wir sind gespannt auf unsere Reise in eine gänzlich andere Kultur, auch wenn wir noch ein bisschen warten müssen – nach Togoville, zu den Tambermas, durch den Dschungel bei Kpalimé und wollen gemeinsam den beschwerlichen fast vier Kilometer langen Weg zur Schule nach Defalé gehen, wo Jacques einst das Lesen lernte.

Fotos: „Bei Sachsen Fahnen gedruckte Togo-Karte“ und „Besuch bei der Firma Sachsen Fahnen in Kamenz 2018“ – Sachsen Fahnen GmbH & Co. KG,
Restliche Fotos: Dr. Wolfgang Bieger, privat

Über Wolfgang
Wolfgang ist seit 20 Jahren bei der Sachsen Fahnen GmbH & Co. KG tätig. Als gelernter Chemiker ist er überall dort zuhause, wo mit Chemikalien umgegangen wird. Und - das überrascht vielleicht in einer Druckerei - sind bei weitem nicht nur Farbstoffe. Es erstreckt sich bis hin zu biologisch abbaubarem Abwasser, sauberer Abluft, gesetzeskonformer Abfallentsorgung – zum Umweltmanagement… Mittlerweile genießt Wolfgang seinen wohlverdienten Ruhestand.
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2 Kommentare

  • Gisela Grottker (Wagner) sagt:

    Hallo Herr Bieger, wir kennen uns von Sachsen Fahnen. Ich war dort 14 Jahre im Versand tätig (2001-2015). Habe Ihren Beitrag gelesen und drücke Ihnen die Daumen für ihre Reise nach Togo. Bleiben Sie und ihre Familie gesund.
    Viele Grüße!

    • Maike sagt:

      Hallo Gisela, vielen Dank für Deinen Kommentar. Wolfgang genießt mittlerweile seinen wohlverdienten Ruhestand. Ich habe Deine Nachricht an ihn weiter geleitet, er wird sich sicher über Dein Interesse freuen.
      Viele Grüße, Maike

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