Zwischen zwei Welten

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Ein Interview mit Dirk Ruhland

Seit Juni 2019 arbeitet Dirk Ruhland, der Sohn des Gründers und Geschäftsführers Jürgen Ruhland, bei Sachsen Fahnen am Standort Kamenz. Vorher war er mehr als 13 Jahre für das Unternehmen in China tätig. Mit der Rückkehr nach Kamenz hat sich nicht nur das Berufsleben, sondern auch privat einiges verändert. Das war für uns Grund genug, einfach einmal nachzufühlen, wie sich Dirk und seine Familie an ihr neues Leben in Deutschland gewöhnt haben.

Hallo Dirk,
stelle dich doch bitte erst einmal selbst vor und erzähle uns etwas über dich und deine Aufgaben bei Sachsen Fahnen.
Hallo, tja, wo soll ich anfangen?
Ich zähle sicher schon zu den Urgesteinen von Sachsen Fahnen. Langjährige Mitarbeiter kennen mich sicher schon aus meiner Grundschulzeit. Im Jahr 2004 habe ich dann meine Ausbildung als Industriekaufmann hier im Unternehmen meiner Eltern begonnen. Direkt nach der Ausbildung wanderte ich mit meiner Lebensgefährtin und unserer großen Tochter nach Asien aus. Zu meinen Aufgaben gehörte es, mich intensiver um die Produkt- und Lieferantenentwicklung als auch um das Qualitätsmanagement, die Containerplanung und den allgemeinen Workflow zu kümmern.
Im Sommer 2019 sind wir nun mit Sack und Pack zurück nach Deutschland gekommen und bauen uns hier wieder unseren Lebensmittelpunkt auf. Seit Juni 2019 bin ich als Leiter Materialbeschaffung tätig und übernahm im Januar 2020 zusätzlich die Position als Chief Technical Officer. Meine Hauptaufgabe ist die Sicherstellung des reibungslosen Warenflusses zwischen Lieferanten und Kunden.

Sachsen Fahnen ist ein Familienunternehmen, wird auch privat viel über die Geschäfte gesprochen oder ist das eher tabu?
Das lässt sich pauschal nicht wirklich sagen. Im Grunde versuchen wir in unserer Freizeit die Arbeitsthematik zu vermeiden. Dass man das nicht immer zu 100 Prozent schafft und natürlich auch einige Themen familiär besprochen werden müssen, ist klar. Somit sind Themen rund um die Firma trotzdem immer wieder etwas, was man auch in der Freizeit mit aufgreift. Das war bereits bei meinen Eltern so, und wir Kinder haben von klein auf mitbekommen, dass in einem Familienunternehmen eine deutliche Trennung von Arbeit und Privat nicht einzuhalten ist.

Nun gibt es zwischen China und Deutschland natürlich große kulturelle Unterschiede, wie gut habt ihr euch nach ca. 13 Jahren China wieder in Deutschland eingelebt?
Das stimmt. Wieder eingelebt hat man sich trotzdem sehr schnell, da wir ja hier aufgewachsen sind. Die Kinder (Jaimy Lee, 15 & Alara Lia, 6) hatten es schon schwerer. Sie haben sich verständlicher Weise mit China identifiziert, in Deutschland waren sie immer nur „zu Besuch“. Sie kamen jetzt quasi in ein fremdes Land. Das brauchte natürlich seine Zeit und war nicht immer einfach. Mittlerweile haben aber beide Freunde gefunden und in Deutschland Fuß gefasst. Allerdings wird es noch seine Zeit dauern, bis sie sich hier wirklich heimisch fühlen. Es ist klar, dass die Gedanken immer mal wieder in China sind und man unbewusst Vergleiche zieht.
Besonders der Arbeitsweg ist für uns ein wirklicher Luxus, denn in China gehörte ein Fahrweg von einer Stunde zur Tagesordnung, jetzt sind es nur noch knapp 10 Minuten. An die Arbeitszeit hingegen muss sich der Biorhythmus wohl noch ein wenig gewöhnen, denn wirklich gut raus kommt bei uns keiner früh am Morgen. 😉

Was unterscheidet den Arbeitsalltag in Deutschland gegenüber dem in China?
Einmal natürlich die Sprache und zum anderen fällt mir direkt wieder der Arbeitsweg ein. Es ist für Chinesen in Shanghai normal 1 – 1,5 h auf dem Weg zur Arbeit zu verbringen. Dafür beginnt der Arbeitstag erst zwischen 9 und 10 Uhr. Warum keine genaue Zeit? Ganz einfach, weil man durch den Verkehr und mögliche Zwischenfälle keine reguläre Zeit festlegen kann. Somit ist es normal eine Stunde als Gleitzeit zu haben.

Außerdem ist der allgemeine Arbeitsablauf anders als hier in Deutschland. Chinesen investieren deutlich mehr Zeit und Engagement in die Preisverhandlungen, teilweise kann man das schon als „Kampf“ bezeichnen. Die Kontakte zu anderen Lieferanten und die Kommunikation miteinander sind sehr wichtig. Ohne Kontakte ist man in China chancenlos, dafür wird allerdings viel weniger Aufmerksamkeit auf Dokumentation oder gar eine fundierte und belegbare Kalkulation der Kosten gelegt.

Unterhält man sich in China bei Geschäftstreffen in Englisch? Habt ihr fließend Chinesisch gelernt oder kommt man auch mit Deutsch weiter?
Das lässt sich so gänzlich nicht beantworten. Bei uns im Haus war Englisch die Firmensprache und wurde von einem kleinen Teil unserer Geschäftspartner auch gesprochen. Alles andere wurde in Chinesisch beziehungsweise mit Händen und Füßen geklärt, irgendwie konnte man sich immer verständigen. Auch auf Deutsch war es möglich, sich mit dem einen oder anderen Kunden zu unterhalten, dies ist allerdings nicht typisch im geschäftlichen Bereich.
Natürlich sprechen wir nach 14 Jahren auch chinesisch. Meine Frau und unsere älteste Tochter Jaimy Lee können die Sprache auch lesen und schreiben. Das hat uns den Alltag, im Vergleich zu all denen, die es überhaupt nicht können, natürlich enorm vereinfacht.

Gibt es große Unterschiede im „Business Knigge“ zwischen China und Deutschland?
Ja, die gibt es. Ob das als großer Unterschied zu sehen ist kann ich nicht sagen, denn ich denke auch in Deutschland praktiziert das jede Firma anders. Aber in China ist es eben so, dass Punkt 12 Uhr und 18 Uhr zum Essen geladen wird. Und dann meist sehr üppig.
Am meisten hat mich über all die Jahre die Übergabe der Visitenkarten beeindruckt. Das macht man nämlich nicht mit einer, sondern mit beiden Händen. Für mich drückt es auf eine simple Art und Weise Respekt und Wertschätzung aus. Deshalb handhabe ich das in Deutschland weiter. Nach einem halben Jahr kann ich sogar sagen, dass viele Geschäftspartner mit denen ich im Meeting saß, diese Geste selbst kennen und mir somit auch gleich eine Tätigkeit mit starkem China-Kontakt zuordnen konnten.

Was vermisst ihr am meisten, seitdem ihr China verlassen habt, und warum?
Die Frage ist sehr leicht zu beantworten, eindeutig das ESSEN! Alle Mahlzeiten neben dem Frühstück. Lebensmittel im Allgemeinen waren in China immer frisch, immer verfügbar und auch immer in einer Top Qualität zu bekommen. Die Gewürze im Essen und die vielen unterschiedlichen frischen Zutaten machen die chinesische Küche aus, das ist mit Deutschland nicht zu vergleichen.
Vor allem vermisse ich die Straßen-Grills, die großen Plätze mit ihren Restaurants und Terrassen, wo man sich bis morgens 5 Uhr treffen kann, um etwas zu essen oder zu trinken.
Zu guter Letzt würde ich behaupten, dass ich die Menschen an sich vermisse. In China war einfach immer etwas los, man traf zu jeder Uhrzeit noch Menschen. Dabei war man durch die Masse an Menschen irgendwie stets anonym, was ich über die Jahre zu schätzen gelernt habe.

Und jetzt mal umgekehrt, worauf habt ihr euch am meisten in Deutschland gefreut und warum?
Du wirst lachen, mit Abstand am meisten habe ich mich auf Getränke mit Kohlensäure gefreut. Denn in China gibt es das kaum, selbst Energy-Drinks werden ohne Kohlensäure angeboten.
Danach folgte gleich die Vorfreude auf das Baden in Steinbrüchen ohne Badekappe und Rettungsweste bzw. Schwimmreifen. Da Chinesen meist nicht schwimmen können, sind die Bäder überfüllt von erwachsenden Menschen mit Rettungswesten und Schwimmreifen. Da macht das Baden eher weniger Spaß und man verzichtet lieber darauf.

Gibt es wirtschaftlich, kulturell oder auch persönlicher Dinge, welche ihr euch auch in Deutschland wünscht? Was hat euch am meisten beeindruckt?
Ja klar, ich lerne jetzt erst zu schätzen wie schön das gesellige Zusammensein und diese räumliche Nähe in einer Großstadt sein können. In Deutschland steht man abends oft alleine da, wenn man noch etwas unternehmen möchte. Alle sind zu Hause mit ihren Familien und schauen Fernsehen oder Ähnliches. Da sind spontane Treffen eine Seltenheit. Die Asiaten hingegen sind meist draußen, treffen sich und verbringen gemeinsam Zeit bis spät in die Nacht hinein. Ich würde mir wünschen, dass „WIR ALLE“ mehr draußen sind und in einer geselligen Runde miteinander reden und zusammen das Leben genießen.
Außerdem hat mich immer wieder die Art beeindruckt, wie man in China komplizierte Dinge erledigt, ohne dabei den reibungslosen Ablauf des Alltags zu gefährden oder zu behindern. Da wird zum Beispiel nachts eine Straße komplett gesperrt, um eine neue Brücke zu bauen, welche dann am nächsten Morgen fertig ist. Am Morgen ist die Straße einfach wieder freigegeben und man hätte fast nicht bemerkt, was da mal eben schnell geschehen ist. Da stehen wir uns in Deutschland mit unserer Bürokratie und unseren Anträgen leider oft selbst im Weg, so dass solche Dinge nie funktionieren würden.

Seid ihr privat oder auch geschäftlich viel im Land gereist? Wenn ja, was habt ihr für Erfahrungen gemacht?
Ja das sind wir. Privat und auch geschäftlich haben wir versucht viel zu erleben. Einfach um die Nähe zu einer Vielzahl von traumhaften Zielen auszunutzen, ohne dass man ewig lange Flugzeiten in Kauf nehmen muss. Die Kultur ist so vielfältig und es gibt unendlich viele Plätze, wohin man reisen kann. Aus diesem Grund haben wir in den 13 Jahren versucht einen Großteil unseres Urlaubs in Asien zu genießen. Leider haben wir trotzdem nicht alle Sehenswürdigkeiten in China gesehen. Aber das ist nicht schlimm, so haben wir immer mal wieder einen Grund nach China zurück zu fliegen, um unsere Freunde zu sehen und etwas Neues zu entdecken.

Eine Eigenschaft hat Asien in meinem Kopf schon immer charakterisiert: Die Offenheit der Menschen und das freundliche Lachen, was sie einem entgegenbringen, ist für mich einfach eine sehr wertvolle Besonderheit, die man sich als Deutscher viel mehr annehmen sollte. Das gibt jedem ein angenehmeres Gefühl als ein unfreundliches „Hallo“, so wie man es hier in Deutschland hört. Daran müssen wir uns auf jeden Fall erst wieder gewöhnen.

Vielen Dank für die interessanten Antworten und diesen kleinen Einblick in euer Leben. Ich hoffe, an das frühe Aufstehen und den Rest der deutschen Kultur könnt ihr euch nach und nach wieder gewöhnen. 😉

Familie Ruhland

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Über Angelique
Angelique war als Teil unserer Marketingabteilung für Social-Media und die Bereiche des klassischen Mailing- und Newsletter-Marketings verantwortlich. Immer auf der Suche nach neuen spannenden Aufgaben geht sie mittlerweile neue Wege. Wir wünschen ihr alles Gute und viel Erfolg!
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